Prolog

Komm, wir segeln um die Welt – Prolog 2020

Von den Zinnen unseres maurischen Turmes an der andalusischen Küste Spaniens beobachte ich eine Segelyacht mit Kurs nach Westen, in den Atlantik. Vielleicht will sie ja auch hinaus, so wie Peter Kammler und ich vor fast 50 Jahren hier mit der Mauna Kea vorbeigesegelt sind. Von Mallorca kommend, Kurs West, einmal um die Welt. Möchte ich wieder an Bord sein und noch einmal ins Abenteuer hineinsegeln?

Damals, als Peter mich kurz nach unserem Kennenlernen fragte, ob ich mit ihm um die Welt segeln wolle, war ich Feuer und Flamme. Hier war sie, die urpersönliche Herausforderung, auf die ich seit meiner Kindheit gewartet hatte! Ich mußte mich ihr stellen, trotz aller Ängste vor dem Ungewissen. Ich wollte wissen, was hinter dem Sonnenuntergang liegt – Rerum cognoscere causa.

Ich wollte mich beweisen und an den Ufern hinter dem Horizont ankommen und damit vielleicht auch bei mir selbst. Vier Jahre und 32.000 Seemeilen später hatte ich die Herausforderung bestanden. Ich war zurückgekehrt, wieder gelandet, angekommen und bereit für neue Aufgaben an Land. Peter aber segelte weiter, mit einer verbesserten „Mauna Kea II»‘ noch einmal halb um den Globus nach Neuseeland. Dort züchtet er heute Rinder. Ich habe ihn nie wiedergesehen.

Ich habe bald wieder geheiratet und pendle mit meinem zweiten Mann Uwe Zimmermann zwischen unserem Wohnturm an der andalusischen Mittelmeerküste und unserer gemeinsamen Heimatstadt Berlin. Mit meiner Reise vor gut dreißig Jahren segelte ich im Alter von 27 Jahren heraus aus einer schon festgelegten Zukunft als frisch diplomierte Lehrerin, die mich damals mehr schreckte als alle zu erwartenden Gräuel an fremden, wilden Gestaden. Sie befreite mich aus der Enge des seinerzeit eingeschlossenen Berlins, der Stadt der Mauer und des Kalten Krieges. Ich begriff diese Reise natürlich auch als meine Chance, sie als erste deutsche Frau zu dokumentieren und führte deshalb akribisch Tagebuch. Nachts am Kartentisch schrieb ich seitenlange Briefe nach Hause, von denen die meisten erst nach Monaten ankamen und die meine Eltern sammelten.

So konnte ich mich bei meiner Rückkehr auf eine originäre Materialsammlung erster Eindrücke stützen, auf der dieses Buch basiert. Heute gibt man seine Erlebnisse an Bord eher Life in ein Power Book ein und schickt sie als E-Mails über Satellit und Internet direkt an seine Freunde und Sponsoren. So segelt man beim Einlaufen in den Zielhafen seinen Berichten fast hinterher. Die Urfassung meines Buches wurde mit meinem Schulfüller verfasst und dann mit einer Reiseschreibmaschine abgetippt. Noch heute blättere ich gerne in diesem salzverkrusteten Manuskript, das mich auch an die schier endlosen und einsamen Nachtwachen während unserer Ozeanüberquerungen erinnert. Meinen Verlegern, den geschätzten Herren Delius, verdanke ich das Erscheinen meiner Reiseaufzeichnungen als Buch.

Ich übersetzte in den folgenden Jahren für ihren Verlag zehn Bücher von Segelabenteuern aus dem Englischen. Meine Reise und mein Buch öffneten mir auch den Weg in den Journalismus. Heute bin ich als freie Journalistin und Übersetzerin tätig. Segeln tu ich auch noch, ein wenig, und seekrank werde ich auch immer noch. Die politische Landkarte der Welt hat sich teilweise verändert, seit ich 1970 losgesegelt bin: Deutschland ist wiedervereinigt, damit hat auch unser Leben in der Heimatstadt eine neue Perspektive erhalten.

Die Apartheit in Südafrika ist aufgehoben, vielleicht noch rechtzeitig, um meinem kleinen Negerjungen „David aus Durban“, von dem ich in diesem Buch berichte, eine eigene Chance zu geben. Aber: Das Mururoa-Atoll im Pazifik droht nun doch nach rund 200 Atomversuchen der Franzosen zu versinken. In Angola toben noch immer sogenannte „Befreiungskriege“. Ebenfalls auf Portugiesisch-Timor. Auf den Fidschi Inseln gab es jüngst erneut einen Aufstand gegen die asiatischen Einwanderer. Zu meinem Entzücken ist heute noch immer Sir Ratu Kamisese oberster Stammesherr. Der Protest war schnell beendet. Wahrscheinlich forderte er wieder, wie bereits vor gut 40 Jahren, in einer Radioansprache: „Jungs, geht an die Arbeit, wir sind zu arm für einen Aufstand!“ Während ich hier sitze, segelt das Schiff am Horizont in den Sonnenuntergang hinein und erinnert mich an die Freiheit, die da draußen zu finden ist. Und erinnert auch an die innere Freiheit, die ich mir, zurückgekehrt zu den Ufern, für immer mitgebracht habe.

Beate Zimmermann-Kammler
Almuñecar – Granada 2020

Zurückgekehrt zu den Ufern – nach Deutschland und Spanien
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